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Das muss unternommen werden, um den Betreuten von einer ärztlichen Maßnahme zu überzeugen

Die Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme setzt voraus, dass zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Art und Weise darzulegen.

BGH, Beschl. v. 13.09.2017 – XII ZB 185/17

Das ist passiert:

Ein Mann wurde öffentlich-rechtlich untergebracht, nachdem er sich der Räumung seines in einer Gartenlaube befindlichen Behelfsdomizils widersetzt hatte, indem er mit Fäkalien um sich warf. Nach fachpsychiatrischem Gutachten leidet er unter einer paranoid-wahnhaften Störung mit sog. „florider“ psychotischer Symptomatik und Handlungsrelevanz.

Im Februar 2017 hat das Amtsgericht auf Antrag der zwischenzeitlich bestellten Betreuerin ihre Einwilligung in die weitere zivilrechtliche Unterbringung für zwölf Wochen sowie die Zwangsbehandlung unter Verantwortung und Dokumentation eines Arztes mit einem näher bezeichneten Medikament für annähernd sechs Wochen genehmigt. Das Landgericht hat den Betroffenen im Beisein der Verfahrenspflegerin erneut angehört und seine Beschwerde gegen die Genehmigungen der Unterbringung und Zwangsbehandlung zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Mann die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme.

Darum geht es:

Es geht unter anderem um die Frage, inwieweit die Beteiligten auf den betroffenen Mann hätten einwirken müssen, um zu erreichen, dass er sich freiwillig in ärztliche Behandlung begibt.

Die Entscheidung:

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Entscheidungen von Amts- und Landgericht den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Instanzgerichte die Genehmigung zur Durchführung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme ausgesprochen haben, ohne einen vorherigen Überzeugungs-versuch ausreichend darzulegen.

Eine Zwangsmaßnahme ist nur dann gemäß § 1906a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB zulässig, wenn zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht worden ist, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen.

Dieser Anforderung werden die angefochtenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts verhält sich überhaupt nicht zur Frage eines Überzeugungsversuchs, während der erstinstanzliche Beschluss lediglich den nicht näher konkretisierten Hinweis enthält, dass versucht worden sei, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Diese pauschale Angabe genügt als nachvollziehbare Darlegung nicht.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Leider nimmt das Gericht nicht dazu Stellung, in welchem Umfang auf den Betreuten eingewirkt werden muss, um ihn zu überzeugen. Die Entscheidung hilft also insofern in der Praxis nicht weiter. Aufschluss gibt aber eine andere Entscheidung des BGH, auf die Bezug genommen wird (Beschl. v. 02.09.2015 – XII ZB 226/15). Darin hat der entsprechende Senat des BGH es als ausreichend angesehen, dass über mehrere Monate zweimal wöchentlich von den behandelnden Ärzten im Rahmen der Visite versucht wurde, die Betroffene von der medizinischen Maßnahme zu überzeugen. Das ist also wenigstens eine Richtschnur.

Auf jeden Fall sollte der Betreuer es sich in diesem Zusammenhang nicht nur sich selbst nicht, aber auch den behandelnden Ärzten nicht zu leicht machen. Sie sollten darauf achten, dass Betreute über die Maßnahmen aufgeklärt werden und möglichst wenigstens einmal zugegen sein und die Aufklärung im Anschluss dokumentieren. Ein enger Kontakt zu den Ärzten ist in diesem Fall unerlässlich.

Quelle: BGH, Beschl. v. 13.09.2017 – XII ZB 185/17

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