Aktuelle Rechtsprechung

Der Betreuer darf Einsicht in den Entwicklungsbericht nehmen

Der Betreuer muss die Möglichkeit haben, in den Entwicklungsbericht der Werkstatt für Behinderte bzgl. seines Betreuten Einsicht zu nehmen. Eine Kopie des Berichtes kann er jedoch nicht verlangen. Die Einsichtnahme ist vom gesetzlichen Vertretungsrecht des Betreuers umfasst.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.12.2017, Az.: 6 Sa 325/17

Das ist passiert:

Die Beklagte betreibt mehrere Behindertenwerkstätten gemäß SGB IX. Der Kläger ist Arbeitnehmer in einer der Werkstätten und wird gesetzlich betreut. In § 10 des Werkstattvertrages heißt es:

„Schweigepflicht und Datenschutz

  1. Die Werkstatt verpflichtet sich, den Datenschutz und die Schweigepflicht bezüglich der persönlichen Daten des Beschäftigten zu wahren.
  2. Der Beschäftigte kann Einsicht in seine Personalakten/ Betreuungsdokumentation erhalten.
  3. Sofern es im Einzelfall erforderlich ist, entbindet der Beschäftigte durch gesonderte Erklärung die betroffenen Stellen (Arzt, Agentur für Arbeit, Gutachter, etc.) von deren Schweigepflicht. Das Notfallblatt kann an den Arzt, die Leistungs- und Befähigungsberichte können an den Sozialversicherungsträger herausgegeben werden.
  4. Die Weitergabe personenbezogener Daten darf nur mit Zustimmung des Beschäftigten erfolgen, soweit nicht gesetzliche Regelungen die Weitergabe erforderlich machen.“

Der Aufgabenkreis des Betreuers umfasst nach dem Betreuerausweis:

  • die Vermögenssorge,
  • die Sorge für die Gesundheit,
  • die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Institutionen,
  • Wohnungsangelegenheiten,
  • die Aufenthaltsbestimmung
  • sowie im Rahmen dieses Aufgabenkreises die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung.

Die Kosten des Werkstattplatzes des Betreuten trägt der zuständige Landkreis. Der Betreuer muss für den Kläger vor Ablauf des Bewilligungszeitraums beim Kreis die Weiterbewilligung der Maßnahme beantragen. Die Werkstatt fertigt im Rahmen der Leistungsvereinbarung mit dem Kreis jährlich einen Entwicklungsbericht, der Grundlage für das anschließende Teilhabegespräch ist, indem über die Weiterbewilligung der Maßnahme entschieden wird.

Der Betreuer des Klägers hat mit der Klage die Herausgabe einer Kopie des Entwicklungsberichts für den Zeitraum 2015/ 2016 verlangt. Im Berufungsverfahren beantragte er auch hilfsweise die Einsichtnahme in den Bericht in der Werkstatt. Einer Einwilligung seines Betreuten, die nicht erteilt wurde, bedürfe es nicht, da es sich bei der Betreuung um eine gesetzliche Vertretungsmacht handele.

Die Werkstatt steht auf dem Standpunkt, dass sie ohne Einwilligung des Betreuten, der unstreitig nicht geschäftsunfähig ist, den Entwicklungsbericht nicht an den Betreuer herausgeben dürfe. Dieser müsse sich an den Kreis wenden und den dort vorliegenden Entwicklungsbericht unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz des Landes Schleswig-Holstein einsehen.

Darum geht es:

Es geht es um die Frage, ob der Betreuer eine Kopie des Entwicklungsberichts ohne Einwilligung seines Betreuten oder zumindest die Einsichtnahme von der Werkstatt verlangen darf.

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Die Werkstatt müsse den Entwicklungsbericht oder eine Kopie auch an den Betreuer des Klägers herausgeben. Das ergäbe sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betreuten und aus § 10 Nr. 4 des Werkstattvertrages.

Das Landesarbeitsgericht schränkte dieses Urteil jedoch ein: Ein Herausgaberecht besteht nicht, aber der Betreuer darf in den Entwicklungsbericht in der Werkstatt Einsicht nehmen.

Aus dem Werkstattvertrag ergibt sich kein Anspruch auf Herausgabe eines kopierten Entwicklungsberichts. Nach § 10 Nr. 2 des Werkstattvertrages kann der Beschäftigte (nur) Einsicht in seine Personalakten und Betreuungsdokumentationen erhalten. Der Entwicklungsbericht ist Teil der Betreuungsdokumentation. Ein weitergehender oder ergänzender Anspruch auf Überlassung einer Kopie des Entwicklungsberichts ist im § 10 Nr. 2 des Werkstattvertrages nicht vorgesehen.

Auch aus § 10 Nr. 4 des Werkstattvertrages ergibt sich kein Herausgabeanspruch, denn dieser Passus beschränkt nur auf die Weitergabe von Daten.

Andere Anspruchsgrundlagen für die Herausgabe des Entwicklungsberichts oder einer Kopie sind für das Landesarbeitsgericht nicht ersichtlich.

Wenn aber schon der Betreute nicht verlangen kann, dass ihm eine Kopie des Entwicklungsberichts herausgegeben wird, kann er auch keinen Anspruch auf Herausgabe an seinen Betreuer haben. Sofern der Betreuer nicht aus seiner Betreuerstellung heraus klagt, sondern – wie hier – Rechte des Betreuten geltend macht, kann er nicht mehr oder anderes fordern als der Betreute verlangen könnte.

Allerdings ist der Hilfsantrag auf Einsichtnahme begründet. Der Betreuer darf den Betreuten bei der Einsicht vertreten, ohne dass er dessen Zustimmung benötigt. Das folgt aus § 10 Nr. 2 des Werkstattvertrages. Die Wahrnehmung von Rechten aus dem Werkstattvertrag fällt bereits in den dem Betreuer übertragenen Aufgabenkreis der Vermögenssorge.

Gemäß § 1902 BGB vertritt der Betreuer den Betreuten in seinem Aufgabenkreis gerichtlich und außergerichtlich. Die Vorschrift verleiht dem Betreuer die Rechtsstellung eines gesetzlichen Vertreters und damit auch die Befugnis zur Fremdbestimmung des Betreuten.

Die gesetzliche Vertretungsmacht des Betreuers in seinem Aufgabenkreis besteht im Außenverhältnis ohne Rücksicht darauf, ob der Betreute mit dem Vertreterhandeln einverstanden ist oder nicht. Sofern nicht das Gesetz ausnahmsweise ein Zusammenwirken von Betreuer und Betreutem vorschreibt, ist der Betreuer selbstständig befugt, im Namen des Betreuten zu handeln. Das Handeln des Betreuers im Rahmen seiner Vertretungsmacht wird dem Betreuten unmittelbar zugerechnet. An der Selbständigkeit des Betreuers ändert das Gebot des § 1901 Abs. 3 BGB, die Wünsche des Betreuten zu berücksichtigen, grundsätzlich nichts.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Die Entscheidung beschäftigt sich ausführlich mit der gesetzlichen Vertretungsmacht des Betreuers und stellt anschaulich dar, was der Betreuer für seinen Klienten erledigen darf und was nicht. Dabei hebt das Gericht noch mal deutlich hervor, dass die gesetzliche Vertretungsmacht des Betreuers ein wichtiges Instrument ist, damit er überhaupt die Aufgaben des ihm übertragenen Aufgabenkreises erfüllen kann. Sie ist mit der Betreuung zwingend verbunden. Ihr Umfang ergibt sich aus dem Bestellungsbeschluss. Unabhängig von den dadurch gezogenen Grenzen ist die Vertretungsmacht für Geschäfte höchstpersönlicher Natur oder für solche mit persönlichem Einschlag beschränkt.

Das Urteil zeigt darüber hinaus, dass man mit unnötiger Bürokratie einen wirkungsvollen Arbeitsfluss zum Erliegen bringen kann. Man fragt sich, warum die Werkstatt nicht gleich Einsicht gewährt hat, zumal offenkundig war, dass der Betreuer die Informationen auch über die Kreisverwaltung hätte bekommen können.

Quelle: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.12.2017, Az. 6 Sa 325/17

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