Aktuelle Rechtsprechung

Patientenverfügung: Die genaue Formulierung ist entscheidend

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Anforderungen an die Formulierung einer Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht verdeutlicht.

Beschluss vom 6.7.2016, Az. XII ZB 61/16

Das ist passiert:

Im Jahr 2011 erlitt die Betroffene einen Hirnschlag. Noch im Krankenhaus bekam sie eine Magensonde, über die sie seitdem ernährt und mit Medikamenten versorgt wird. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich weiter

Seit Frühjahr 2013 war sie nicht mehr in der Lage, sich mündlich auszudrücken. Die Betroffene hatte 2003 und 2011 zwei, jeweils wortlautidentische, mit „Patientenverfügung" betitelte Schriftstücke unterschrieben. Darin hieß es, dass u. a. dann, wenn aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer, dauerhafter Gehirnschaden zurückbliebe, „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben" sollten. An die „Patientenverfügung" angehängt war die einer ihrer drei Töchter erteilte Vorsorgevollmacht. Die Tochter sollte dann an ihrer Stelle mit der behandelnden Ärztin alle erforderlichen Entscheidungen absprechen, den Willen der Mutter i. S. d. Patientenverfügung einbringen und in deren Namen ggf. Einwendungen vortragen, welche die Ärztin berücksichtigen sollte.

Darüberhinaus hatte die Betroffene 2003 in einer notariellen Vollmacht dieser Tochter eine Generalvollmacht erteilt. Diese berechtigte zur Vertretung auch in Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung. Die Bevollmächtigte könne „in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, in eine Heilbehandlung oder in die Durchführung eines ärztlichen Eingriffs einwilligen, die Einwilligung hierzu verweigern oder zurücknehmen." Die Vollmacht enthielt zudem die Befugnis, über den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen zu entscheiden mit dem Zusatz, dass die Betroffene im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung keinen Wert auf solche Maßnahmen lege, wenn feststehe, dass eine Besserung des Zustands nicht zu erwarten sei.

Die bevollmächtigte Tochter und die die Betroffene behandelnde Hausärztin sind übereinstimmend der Auffassung, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung gegenwärtig nicht dem Willen der Betroffenen entspricht. Die anderen beiden Töchter sind gegenteiliger Meinung und haben deshalb beim Betreuungsgericht angeregt, einen sog. Kontrollbetreuer nach § 1896 Abs. 3 BGB zu bestellen, der die ihrer Schwester erteilten Vollmachten widerrufen soll.

Während das Amtsgericht (AG) dies abgelehnt hat, hat das Landgericht (LG) den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und eine der beiden auf Abbruch der künstlichen Ernährung drängenden Töchter zur Betreuerin der Betroffenen mit dem Aufgabenkreis „Widerruf der von der Betroffenen erteilten Vollmachten, allerdings nur für den Bereich der Gesundheitsfürsorge", bestellt. Damit war die zuerst bevollmächtigte nicht einverstanden und legte Rechtsbeschwerde ein, die zur Zurückverweisung der Sache an das LG führte, d. h., das LG muss nun noch einmal entscheiden.

Darum geht es:

Die Richter bemängelten, dass die Äußerung in den beiden Patientenverfügungen „keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung enthalte. Es hätten bestimmte ärztliche Maßnahmen konkret benannt werden müssen oder die Patientenverfügungen hätten auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen Bezug nehmen müssen. Einer schriftlichen Patientenverfügung, die den gesetzlichen Anforderungen (§ 1901a Abs. 1 BGB) genügen soll, müssen konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist, genügen nicht.

Zwar erläuterten die Richter, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung auch nicht überspannt werden dürften. Aber der oder die Betroffene sollte zumindest umschreibend festlegen, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Diese Konkretisierung kann durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.

Die Entscheidung:

Danach kommen sowohl die beiden privatschriftlichen Schriftstücke als auch die in der notariellen Vollmacht enthaltenen Äußerungen nicht als bindende, auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtete Patientenverfügungen in Betracht. Auch im Zusammenspiel mit den weiteren enthaltenen Angaben ergibt sich nicht die für eine Patientenverfügung zu verlangende bestimmte Behandlungsentscheidung.

Auf der Grundlage der vom LG getroffenen Feststellungen ergibt sich auch kein auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteter Behandlungswunsch oder mutmaßlicher Wille der Betroffenen. Deshalb kann nicht angenommen werden, dass die Bevollmächtigte sich offenkundig über den Willen ihrer Mutter hinwegsetzt, was für die Anordnung einer Kontrollbetreuung in diesem Zusammenhang erforderlich wäre. Das LG wird nach Zurückverweisung allerdings zu prüfen haben, ob mündliche Äußerungen der Betroffenen vorliegen, die einen Behandlungswunsch darstellen oder die Annahme eines auf Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteten mutmaßlichen Willens der Betroffenen rechtfertigen.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Drücken sie sich in Ihrer Patientenverfügung so klar und deutlich aus wie möglich, d. h., führen Sie möglichst konkrete Behandlungsmaßnahmen an, die Sie wünschen oder ablehnen. Setzen Sie sich auch ausreichend mit den Situationen auseinander, in denen Ihre Patientenverfügung greifen soll. Erzählen Sie über sich, Ihre Beweggründe und Wertvorstellungen.

Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 9.8.2016

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