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Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Fixierung von Patienten

Die Fixierung von Patienten stellt einen Eingriff in deren Grundrecht auf Freiheit der Person dar. Ein Verfahrenspfleger sah bei seinem Klienten dieses Grundrecht verletzt und wehrte sich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Fixierung – mit Erfolg.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.7.2018, Az. 2 BvR 309/15

Das ist passiert:

Ein Patient einer geschützten psychiatrischen Einrichtung war mittels der sog. „5-Punkt-Fixierung“ an sein Bett gefesselt worden. Diese Fixierung aller Extremitäten und des Bauchs an ein Krankenbett war über mehrere Tage wiederholt ärztlich angeordnet worden. Der Verfahrenspfleger des Untergebrachten erhob gegen den die Fixierung anordnenden amtsgerichtlichen Beschluss sowie mittelbar gegen § 25 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten, auf dessen Grundlage der Beschluss erging, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Darum geht es:

Es geht es um die Frage, ob der Patient durch diese Fixierung in seinem Grundrecht der Freiheit der Person verletzt wird. Zudem hatte das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden, ob § 25 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten verfassungsgemäß ist.

Die Entscheidung:

Das Bundesverfassungsgericht gab dem Verfahrenspfleger Recht.

Die Fixierung von Patienten stellt einen Eingriff in deren Grundrecht auf Freiheit der Person dar. Selbst wenn es dem Patienten an Einsichtsfähigkeit mangelt, lässt das nicht den Schutz des Freiheitsgrundrechts entfallen. Dieser Schutz wird auch dem psychisch Kranken und nicht voll Geschäftsfähigen garantiert. Gerade psychisch Kranke empfinden eine Freiheitsbeschränkung, deren Notwendigkeit ihnen nicht nähergebracht wird oder werden kann, häufig als besonders bedrohlich.

Bei einer Fixierung, die länger als eine halbe Stunde dauert, handelt es sich um eine Freiheitsentziehung, für die Art. 104 Abs. 2 des Grundgesetzes den weiteren,

verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung vorsieht. Selbst wenn der Patient bereits geschützt untergebracht ist, ist wegen der besonderen Eingriffsintensität die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen eine eigenständige Freiheitsentziehung. Also muss grundsätzlich ein Richter über eine solche Fixierung entscheiden.

Selbstverständlich kann es auch Umstände geben, die eine Fixierung rechtfertigen. Aus dem Freiheitsgrundrecht nach Art. 2 des Grundgesetzes sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der besagt, dass eine Maßnahme immer das mildeste Mittel sein muss, um ein angestrebtes Ziel zu erreichen, ergeben sich strenge Anforderungen an die Rechtfertigung einer Fixierung.

Folgende Anforderungen stellten die Richter:

  • Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Fixierung muss hinreichend bestimmt sein und den materiellen und verfahrensmäßigen Anforderungen genügen.
  • Zudem muss diese gesetzliche Grundlage auch Verfahrensanforderungen zum Schutz der Grundrechte der untergebrachten Person vorsehen, die auf verfahrensmäßige Sicherungen ihres Freiheitsrechts in besonderer Weise angewiesen ist. Hierzu zählen:
  • die Anordnung und Überwachung der Fixierungsmaßnahme durch einen Arzt – in Fällen der 5-Punkt-Fixierung grundsätzlich begleitet von einer Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal,
  • die Dokumentation der maßgeblichen Gründe für die Fixierungsmaßnahme, ihrer Durchsetzung, Dauer sowie der Art der Überwachung.
  • Hinzu kommt die Verpflichtung, die Betroffenen nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Fixierung gerichtlich überprüfen zu lassen.

Genau daran mangelt es bei § 25 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten. Die Vorschrift enthält keine Regelung, dass der Betroffene nach Beendigung einer Fixierung auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Fixierung hinzuweisen ist. Weil die Vorschrift in diesem Punkt also verfassungswidrig ist, wurde der baden-württembergische Gesetzgeber seitens des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet, bis zum 30.6.2019 einen entsprechend verfassungsgemäßen Zustand herzustellen.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Das ist eine richtungsweisende Entscheidung vor allem für das Pflegepersonal. Fehlt es an einer richterlichen Entscheidung über eine Freiheitsentziehung, die länger als 30 Minuten dauert, kann es schnell zur einer Straftat kommen.

Allen ehrenamtlichen Betreuern und auch den Berufsbetreuern sollte dieses Urteil Mut machen: Tun Sie es dem mutigen Verfahrenspfleger gleich und weisen Sie das Pflegepersonal deutlich auf diese Entscheidung hin, wenn Sie den Eindruck haben, dass ihr Betreuter unnötig, aber vor allem ohne richterlichen Beschluss länger als eine halbe Stunde fixiert wird.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.7.2018, Az. 2 BvR 309/15

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