Aktuelle Rechtsprechung

Gesetzlicher Betreuer muss seinem ehemaligen Betreuten Auskunft geben

Gesetzliche Betreuerinnen und Betreuer sind auch ehemaligen Betreuten zur Auskunft über die sie betreffenden Daten und Informationen verpflichtet, die zurzeit ihrer Betreuung von der betreuenden Person erhoben wurden.
                                                                                                                                             Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 11.07.2024, Rs. C-461/22


Das ist passiert
Ein Rechtsanwalt ist zum gesetzlichen Betreuer eines Mannes bestellt worden. Von vornherein war vorgesehen, dass er diese Betreuung nur so lange führen sollte bis eine andere Person diese Aufgabe übernehmen könne. Die beiden hatten ein persönliches Verhältnis zueinander und kannten sich aus privatem Umfeld.
Als ein neuer Betreuer gefunden worden war, erhob der ehemalige Betreute Klage gegenüber dem Rechtsanwalt, um die Schlussrechnung überprüfen zu lassen und er verlangte zudem nach Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Auskunft über die während seiner Betreuung von dem Rechtsanwalt erhobenen Daten.
Zu diesem Zweck stellte der ehemalige Betreute beim Amtsgericht Hannover einen Antrag auf Prozesskostenhilfe, welches diesen Antrag, soweit er den Auskunftsantrag gemäß Art. 15 DSGVO betraf, zurückwies. Das Amtsgericht Hannover war der Ansicht, dass ein im Rahmen seiner Berufsausübung tätiger Betreuer kein „Verantwortlicher“ im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO sei. Ein „Verantwortlicher“ in diesem Sinne ist eine Person, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Darüber hinaus regele die DSGVO das Verhältnis zwischen betroffenen Personen und Verantwortlichen. Ein gesetzlich bestellter Betreuer sei aber gemäß § 1902 Bürgerliches Gesetzbuch (jetzt § 1823 BGB) der gesetzliche Vertreter der betroffenen Person. Daher dürften die die betreute Person betreffenden personenbezogenen Daten durch den Betreuer oder die Betreuerin im Namen der betreuten Person selbst verarbeitet werden, ohne dass es ein – nach dem in der Rechtsprechung deutscher Gerichte verwendeten Ausdruck – „Gegenüberverhältnis von Betreuer und Betroffenem“ gäbe.
Der Betreute focht die Ablehnung seines Prozesskostenhilfeantrags vor dem Landgericht Hannover an, weil er mit der Entscheidung, dass ihm das Auskunftsverlangen verweigert wurde, nicht einverstanden war. Das Landgericht Hannover hatte Zweifel, ob eine Person, die die Aufgaben des Betreuers berufsmäßig wahrgenommen hat, als „Verantwortlicher“ im Sinne
der DSGVO eingestuft werden kann und nach der DSGVO auskunftspflichtig ist. Deshalb wandte es sich an den EuGH, um diese Frage prüfen zu lassen. Der Rechtsstreit in Deutschland kann erst nach Klärung dieser Fragen fortgeführt werden.


Darum geht es
Der EuGH muss über folgende Fragen vorab entscheiden:
1. Ist der gesetzlich bestellte Betreuer, der diese Tätigkeit berufsmäßig ausübt, Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO?
2. Muss der gesetzlich bestellte Betreuer Auskunft nach Art. 15 DSGVO erteilen?


Die Entscheidung
Die Bestimmungen der DSGVO müssen laut EuGH dahin gehend ausgelegt werden, dass der ehemalige Betreuer, der seine Aufgaben in Bezug auf eine unter seine Betreuung gestellte Person berufsmäßig wahrgenommen hat, als „Verantwortlicher“ für die Verarbeitung der diese Person betreffenden personenbezogenen Daten, die sich in seinem Besitz befinden, einzustufen ist. Also ist der Rechtsanwalt „Verantwortlicher“ im Sinne der DSGVO und muss gegenüber seinem ehemaligen Betreuten Auskunft erteilen. Dagegen spricht in diesem Fall auch nicht der Umstand, dass sich der Rechtsanwalt und der Betreute persönlich kannten.
Der EuGH klärt aber nicht auf, inwieweit ein ehrenamtlicher Betreuer oder eine ehrenamtliche Betreuerin „verantwortlich“ im Sinne der DSGVO sind und ob, im Fall des Ehrenamts von den gleichen Voraussetzungen auszugehen ist.


Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis
Die Entscheidung ist noch nach altem Recht ergangen. Nach der Reform des Betreuungsrechts wäre es wohl noch klarer gewesen: Die Autonomie der Betreuten gegenüber der betreuenden Person soll gestärkt werden.
Deshalb war die Entscheidung, dass die jeweils betreuende Person ein Verantwortlicher im Sinne des Datenschutzrechts ist, richtig. Betreute sollen auch von ehemaligen Betreuern und Betreuerinnen Auskunft über die Daten verlangen können.
                                                                                                                                Quelle: Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 11.07.2024, Rs. C-461/22
 

Top