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Aufgabenkreis Wohnungsangelegenheiten: Wann muss sich eine Betreute das Verhalten ihrer Betreuerin zurechnen lassen?

Normalerweise gilt: Wer mit seinen Monatsmieten zwei Monate im Rückstand ist, riskiert die Kündigung seiner Wohnung. Vorliegend sorgte eine Betreuerin fahrlässig dafür, dass die Miete ihrer Betreuten nicht auf dem Konto des Vermieters einging. Muss sich die Betreute diese Fahrlässigkeit zurechnen lassen? Lesen Sie, wie das Landgericht Berlin entschieden hat.

Landgericht Berlin, Beschluss vom 08.02.2022, Az. 67 S 298/21

Das ist passiert:

Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis der Wohnung einer seit 2017 unter Betreuung stehenden Frau. Die Betreute war mit zwei Monatsmieten im Rückstand. Die Mietzahlungen sind seit Einrichtung der Betreuung im Jahr 2017 aber sonst stets zuverlässig geflossen.

Der zur Begründung der Kündigung herangezogene Mietrückstand ist nicht auf ein Eigenverschulden der Betreuten, sondern allein auf das ihr zugerechnete – und zudem lediglich fahrlässige – Verhalten ihrer auch für „Wohnungsangelegenheiten“ bestellten Betreuerin zurückzuführen.

Diese hatte im Dezember 2020 den Dauerauftrag für die Mietzahlung für das stets gedeckte Konto ihrer Betreuten gekündigt und den Vermieter zur Verringerung des Verwaltungsaufwandes bei der Kontrolle und Anpassung der zu überweisenden Mietzahlungen darum gebeten, die Mieten künftig im Lastschriftverfahren einzuziehen. Nachdem der Vermieter der Bitte zur Umstellung des Zahlungsverkehrs „aus technischen Gründen“ nicht nachgekommen ist, gelang es der Betreuerin in der Folge bis zum Ausspruch der Kündigung am 07.01.2021 aus Gründen offensichtlicher Fahrlässigkeit nicht, den zuvor gekündigten Dauerauftrag wieder rechtzeitig zu aktivieren. Die Betreute ging jedoch zu Recht vertrauensvoll davon aus, dass die Betreuerin ihrer im Aufgabenkreis „Wohnungsangelegenheiten“ übertragenen Pflichten zur rechtzeitigen Anweisung des Mietzinses vollständig und pünktlich nachkommt.

Der Vermieter erhob Räumungsklage, aber die Klage scheiterte vor dem Amtsgericht. Aus diesem Grund griff der Vermieter die Entscheidung vor dem Landgericht an.

Darum geht es:

Es geht darum, ob die Räumungsklage berechtigt ist und ob die Betreute sich das fahrlässige Verhalten ihrer Betreuerin zurechnen lassen muss.

Die Entscheidung:

Das Landgericht entschied, dass die Räumungsklage nicht begründet ist und das Mietverhältnis nicht durch Kündigung des Vermieters erloschen ist.

Die Betreute hat pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt, indem sie die Mieten für Dezember 2020 und Januar 2021 nicht entrichtet hat. Ihr Verschulden entfällt nicht dadurch, dass der Zahlungsausfall ausschließlich auf einem Versehen ihrer für den Aufgabenbereich der „Wohnungsangelegenheiten“ bestellten Betreuerin beruht. Denn die Betreute muss sich das Fehlverhalten ihrer Betreuerin gemäß § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurechnen lassen. In § 278 BGB steht sinngemäß, dass der Schuldner, also hier die Betreute, ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, also hier der Betreuerin, in gleichem Umfang zu vertreten hat wie eigenes Verschulden.

Jedoch war diese Pflichtverletzung der Beklagten nicht hinreichend erheblich im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Nach dieser Norm des Mietrechts liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Für die Beurteilung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung sind im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen

Aus diesem Grund verbieten sich schematische Beurteilungen. Zu berücksichtigen sind bei einem wegen Zahlungsverzugs gekündigten Mieter – wie bei allen sonstigen verhaltensbedingten Pflichtverletzungen des Mieters auch – stets die folgenden Umstände:

  • beanstandungsfreie Dauer des bisherigen Vertragsverhältnisses
  • das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung
  • eine mögliche Wiederholungsgefahr
  • der dem Mieter zur Last zu legende Grad des Verschuldens
  • die besonderen persönlichen Umstände des Mieters und ein pflichtwidriges (Vor-)Verhalten des Vermieters

Gemessen an diesen Grundsätzen, war die Pflichtverletzung der beklagten Betreuten nicht hinreichend erheblich. Zwar ist zu ihren Lasten der Kündigungsrückstand in Höhe von zwei vollen Monatsmieten und die abstrakte Wiederholungsgefahr einer weiteren Zahlungspflichtverletzung zu berücksichtigen. Dazu treten jedoch zu ihren Gunsten – und für die Gesamtabwägung wesentlich – der lediglich geringe Grad des Verschuldens, die besonderen persönlichen Umstände der Mieterin und der Umstand, dass die Mieterin nicht selbst pflichtwidrig gehandelt hat, sondern sich die schuldhafte Pflichtverletzung ihrer Betreuerin als Fremdverschulden gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss. Ein solches wiegt für den Mieter bei der Beurteilung der Erheblichkeit seiner Pflichtverletzung weit weniger schwer als eigenes Verschulden. Diese Wertung entspricht dem allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsatz, dass für den Gekündigten nicht erkenn- oder beherrschbare Pflichtverstöße seines Erfüllungsgehilfen das Gewicht der ihm zugerechneten und zum Gegenstand der Kündigung erhobenen Pflichtverletzung deutlich mindern.

Darüber hinaus hat sich auch der Vermieter pflichtwidrig verhalten, indem er seiner hier ausnahmsweise bestehenden Pflicht zu einem Hinweis an die Mieterin auf den bestehenden Zahlungsrückstand vor Ausspruch der Kündigung zuwidergehandelt hat. Es entspricht aber einer aus dem Rücksichtnahmegebot des § 241 Abs. 2 BGB und den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) erwachsenen allgemeinen Vertragspflicht, seinem Vertragspartner auch während des Vertrages einen Hinweis zu erteilen, wenn eine von Letzterem unerkannte erhebliche Beeinträchtigung der mit dem Vertrag verfolgten Interessen droht.

So lag der Fall hier. Denn auch für den Vermieter, der noch unmittelbar zuvor mit der Betreuerin wegen der von dieser erbetenen Zahlungsumstellung korrespondiert hatte, musste es sich auch angesichts der spätestens seit Einrichtung der Betreuung im Jahre 2017 stets zuverlässigen Mietzahlungen aufdrängen, dass der Zahlungsausfall nicht auf einer Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der Mieterin beruhte, sondern allenfalls auf einem geringfügigen technischen oder organisatorischen Versehen ihrer Betreuerin im Zusammenhang mit der erbetenen Umstellung der Zahlungen auf den Lastschrifteinzug. Dass er diese Erkenntnis nicht zum Anlass einer an die Betreuerin der Beklagten gerichteten üblichen Zahlungsaufforderung oder Mahnung im Dezember 2020 oder spätestens im Januar 2021 genommen, sondern die unter Betreuung stehende Frau stattdessen durch umgehenden Ausspruch der Kündigung hat „ins Messer laufen lassen", geht zu Lasten des Vermieters. Sein pflichtwidriges Unterlassen steht bereits für sich genommen, erst recht aber in der Gesamtschau mit den aufgezeigten übrigen Umständen des Einzelfalls, einer für den Kündigungsausspruch erforderlichen hinreichenden Erheblichkeit der Pflichtverletzung der Betreuten entgegen.

Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis:

Das Landgericht hat sich gegen den „eisernen“ Grundsatz gestellt, dass zwei Monatsmieten Rückstand ein Kündigungsgrund für das Mietverhältnis sind. Auch Eisen lässt sich also biegen. Es ist erfreulich, dass die Umstände des Einzelfalls Berücksichtigung gefunden haben.

Dennoch ist allen Betreuer:innen zu raten dafür zu sorgen, dass der Schützling nicht mit den Mieten in Rückstand gerät. Falls es doch einmal passieren sollte ist es ratsam, die Dinge nicht auszusitzen, sondern den offenen Dialog mit der/dem Vermieter:in zu suchen.

Quelle: Landgericht Berlin, Beschluss vom 08.02.2022, Az. 67 S 298/21

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