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Beleidigung des Vermieters durch den Betreuer: Warum auch in einem solchen Fall der betreuten Mieterin nicht gekündigt werden kann

Die Parteien streiten vor dem Bundesgerichtshof (BGB) um die Räumung von Wohnraum im Anschluss an eine fristlose Kündigung, die sich darauf stützt, dass der Betreuer und Pfleger der hochbetagten Mieterin die Vermieterin und deren Hausverwaltung wiederholt unerträglich beleidigt hat.

BGH, Urteil vom 9.11.2016, Az. 2016, VIII ZR 73/16

Die 97-Jährige, nun bettlägerige Mieterin, leidet an Demenz. Seit einigen Jahren wird sie deshalb betreut. Sie lebt seit 1955 in der Dreizimmerwohnung in München. 1963 mietete sie zusätzlich eine in demselben Gebäude und Stockwerk gelegene Einzimmerwohnung an. In dieser Wohnung lebt seit über 15 Jahren der gesetzliche Betreuer der Mieterin. In mehreren Schreiben an die Hausverwaltung beleidigte dieser Betreuer die Vermieterin grob (u. a. „terroristen nazi ähnliche braune mist haufen auf eigener Art"). Die Vermieterin kündigte daraufhin das Mietverhältnis fristlos.

Gegen die Kündigung wehrte sich die Mieterin. Die Räumungsklage wurde vom Amtsgericht (AG) abgewiesen. Das Landgericht (LG) gab aber der Vermieterin recht. Letzten Endes musste der BGH entscheiden.

Darum geht es:

Entscheidungserheblich ist der § 543 Abs. 1 BGB. Danach kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Zwar erkennt das AG eine Pflichtverletzung aufgrund der groben Beleidigung des Betreuers, aber im Hinblick auf die Schuldlosigkeit der Mieterin sei die Zumutbarkeitsgrenze des § 543 Abs. 1 BGB verschoben.

Im Klartext: An die Zumutbarkeit sind in diesem Fall aufgrund des hohen Alters, der Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit der Mieterin höhere Anforderungen zu stellen und deshalb fällt die Abwägung zu Gunsten der Mieterin aus. Dem folgte auch der BGH. Bei der Abwägung sind alle Gesichtspunkte des Einzelfalles zu berücksichtigen. Es darf nicht einseitig auf das Interesse einer Mietpartei abgestellt werden. Bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte zudem verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und diesen Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen.

Es liegt eben eine Ausnahmesituation vor, in der die Vermieterinteressen zurückstehen müssen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das Betreuungsgericht den ausfällig gewordenen Betreuer als Betreuer bestellt und die Betreuung in Kenntnis des Verhaltens aufrechterhalten habe. Der Mieterin sei ein Umzug nicht zuzumuten, zumal davon auszugehen sei, dass ein Ortswechsel oder ein Wechsel der Pflegeperson bei ihr zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen würde.

Das LG hat seine gegenteilige Entscheidung auf die Erwägung gestützt, dass eine vom AG angenommene „Verschiebung der Zumutbarkeitsgrenze" nicht in Betracht komme. Denn die Vermieterin habe sich nicht einer erkennbar schuldunfähigen Person gegenüber gesehen, sondern einem mit Bedacht und offen zur Schau getragenen Verachtung handelnden Betreuer.

Das bedeutet das Urteil für die Praxis:

Eine kluge und richtige Entscheidung des BGH, die dennoch nicht Tor und Tür für jedes unflätige Benehmen eröffnet. Konsequent verweist der BGH auf die im Gesetz normierte Interessenabwägung. Gerade das Für und Wider, das Ausloten der einzelnen Interessen, sorgt für Gerechtigkeit im Einzelfall und bedeutet nicht, dass Mieter sich alles herausnehmen dürfen.

Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 9.11.2016

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